Übersicht
Die Auffahrt der Bagger

Vom gelernten Österreicher und seinen Dogmen

10/31/2006

< Zurück

Manni Schneiderbauer "I glab's erscht, wenn die Bagger auffoahrn!"
Noch nie hat man hierzustadte einen Satz so oft gehört wie ebendiesen im Zusammenhang mit dem Straßenbahn- und Stadtbahn-Ausbau.

Schließlich ist man ja gelernter Österreicher, oder schlimmer noch, Innsbrucker, und da ist man es nicht gewohnt, dass Dinge passieren, die nicht schon einmal passiert sind. Oder deren letztes Passieren so lange zurückliegt, dass man es nicht selbst erlebt hat. Was einem Nichtpassieren gleichkommt.

Der Österreicher hat ein kleines, aber feines Repertoire an Dogmen. Diese gelten ihm als unumstößlich. Sie in Frage zu stellen, käme übler Ketzerei im Mittelalter gleich. Eines davon lautet: was der Bauer noch nicht anfassen kann, glaubt er auch nicht.
Oder so ähnlich.

Nur so sind die zahllosen und immer wiederkehrenden Versuche diverser lokaler Medien, Kaffee-Sätze und verbale Niesanfälle ebenfalls diverser lokaler Politiker zum Thema Regionalbahn dergestalt zu interpretieren, dass das gesamte Projekt unweigerlich zum Tode verurteilt ist, ja sein muss, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und nicht sein darf diesen zufolge ein Stadtbahn- und ein S-Bahn-Netz im Großraum Innsbruck.

Das hat der Bauer noch nicht gesehen, das frisst er auch nicht - oder so ähnlich.


Mokiert sich ein Dorfbürgermeister über die geplante Trassenführung der Stadtbahn, bedeutet das zweifelsohne das unweigerliche Aus für das gesamte Projekt. Die Verkehrspolitik in der Agglomeration Innsbruck wird von Thaur oder Rum aus dirigiert - wir wussten es immer schon.

Steht eine verrottete Holzhütte als einziges Gebäude einem mehrere Kilometer langen Gleiskörper im Weg, kann die Straßenbahn dort unmöglich gebaut werden. Rest in Peace, Regionalbahn, die Holzhütte an der Kranebitter Allee war dein grausamer Scharfrichter.

Rosten ein paar Anwohner-Blechkisten entlang eines Straßenzuges in der Innenstadt vor sich hin, schliesst das dort von vornherein den Bau eines eigenen Gleiskörpers - und damit der gesamten Stadtbahn - aus. Militante Proteste der Auto-Besitzer wären schließlich zu erwarten, zum Bürgerkrieg könnte sich das entwickeln, niemand möchte das riskieren.

Beschreibt ein Politiker bestehende Absichten zur einander ergänzenden Realisierung von Stadtbahn und S-Bahn, bedeutet das zweifelsohne den sang- und klanglosen Untergang der Stadtbahn zugunsten der S-Bahn. Wer will schon mit Cityrunnern durch die Fußgängerzone fahren, wenn er ebensogut am Hauptbahnhof aussteigen kann. Ist doch eh das Gleiche.

Wird ein Jahr lang unter Ausschluss der Öffentlichkeit Trassenfindung betrieben, ist die Stadtbahn schon zur Geisterbahn geworden, bevor noch der erste Detailplan zur Genehmigung eingereicht wurde. Eigentlich sollten nach so einem langen Zeitraum ja nun wirklich sämtliche Gleise längst schon verlegt und die erste Million Kilometer abgefahren sein!

Was gab es nicht alles für Schlagzeilen im letzten Jahr: "Regionalbahn am Abstellgleis" (TT) charakterisiert sie alle.

Der Autor, der die Entwicklungen seit rund zehn Jahren verfolgt (und ja, er hat Kopien des Straßenbahn- und des Regionalbahnkonzepts, des Finanzierungsvertrags und eine große Zahl weiterer Unterlagen dazu im Regal stehen und auf den Festplatten liegen, und ebenfalls ja, er kennt zahlreiche prominente und minderprominente Hauptdarsteller dieses Technicolor-Heimatfilmes persönlich), möchte den Merksatz von weiter oben etwas abwandeln:
Was den Bauer nicht interessiert, das versteht er nicht. Das trifft nämlich den Kern der Sache.

Konkret versteht der Bauer derzeit nicht, dass der kürzlich von Landes- und Stadtregierung bekannt gegebene "Stufenplan für das Regionalbahnkonzept" definitiv nicht bedeutet, dass in Zukunft ein paar Talente mehr auf ÖBB-Gleisen Innsbruck in Ost-West-Richtung durchqueren und die Stadtbahn nach Hall und Völs deshalb nicht mehr realisiert wird.
Der Bauer hat nämlich nicht begriffen, dass die Projekte "S-Bahn auf ÖBB-Trasse" und "Stadtbahn" sich ergänzen, dass sie funktionell, nicht aber technisch miteinander verknüpft werden, und die S-Bahn, in einer ersten Ausbaustufe, deshalb bereits vor dem Stadtbahnbau realisiert wird, weil durch sie schneller eine Entlastung der Verkehrssituation erreicht werden kann.

Dem Bauer ist auch entgangen, dass das Stadtbahnprojekt sogar um weitere Ausbaustufen über Hall und Völs hinaus erweitert wurde.

Zugegeben, die Politiker haben sich in dieser Sache auch etwas kryptisch ausgedrückt.

Wenn der Bauer geistig in solcher Weise geformt ist, dass Bahn für ihn Bahn ist, Meterspurfahrzeuge somit beispielsweise auf Normalspurtrassen unterwegs sein können, dann wird er sich Pläne aus den Fingern saugen und veröffentlichen, denen zufolge die Stadtbahn die ÖBB-Trasse mitbenützt und das Straßenbahnprojekt gestorben ist. Ein solcher Bauer bestellte jedenfalls seinen Acker in der ORF-Redaktion am Rennweg.

Wenn der Bauer juristisch völlig unbedarft ist (der Autor ist auch juristisch unbedarft, aber nicht völlig), wird es ihm auch als Option erscheinen, die Stadtbahn nicht zu bauen, obwohl die Straßenbahn gebaut wird. Denn ihm ist nicht bewusst, dass gültige Verträge eingehalten werden müssen und dass es für eine Umkehr angesichts der bereits erfolgten Bestellung neuer Straßenbahnen bereits längst zu spät ist - man studiere die Verträge, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Die Redaktion der Tiroler Tageszeitung verabsäumte letzteres ganz offensichtlich.

Wenn der Bauer, seines Zeichens Dorfbürgermeister, nur auf sein eigenes Dorf schaut, wird er vielleicht auch annehmen, dass er in ebendiesem die Errichtung der Stadtbahntrasse aufgrund des eigenen Unverständnisses ihrer Vorteile unterbinden kann, nicht wissend, dass das in dieser Sache das Land das letzte Wort hat und der Bund das allerletzte.

Leo Satzinger, seines Zeichens Chef der Landesverkehrsplanung, drückte sich, zum neuen Stufenplan befragt, gegenüber strassenbahn.tk am heutigen Tage wie folgt aus:

Richtig ist, dass das S-Bahn-Konzept eine Ergänzung zum geplanten Regionalbahnprojekt bildet.
An einigen Verknüpfungspunkten, etwa an der Haltestelle in Rum oder natürlich am Hauptbahnhof in Innsbruck, können Umsteigerelationen zwischen der S-Bahn und der Regionalbahn und darüber hinaus auch zum Stadtverkehr Innsbruck sowie zu den Regionalbussen realisiert werden.


Dabei wollen wir's belassen. So schaut's nämlich aus, und nicht anders.

Auch wenn der Bauer, ehe er's glauben kann, weiterhin noch auf das Auffahren der Bagger warten und dabei wohl gelegentlich die eine oder andere Scheibtruhe voll gelerntem Österreicher-Mist in die Lokalmedien schütten wird.



Signatur
Manni Schneiderbauer
Sämtliche Formulierungen in diesem Artikel beziehen sich auf beide Geschlechter.



Vorige Editorials:
> 24.04.2006: Wahlergebnis: Alles bleibt bei der Alten
> 02.02.2006: 5 past 12 bei PM10
> 29.08.2005: In Innsbruck Fehlanzeige
> 29.04.2005: Habemus vehiculum - schon bald
> 02.03.2005: Der Straßenbahn-Millenniums-Virus
> 04.01.2005: 2004 ist viel passiert