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Schwerer Tram-Unfall am Hauptbahnhof
Weiche falsch gestellt · Bereits zweiter Unfall an der gleichen Stelle
02/03/2006
02/07/2006
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Foto: Tirol Online
Unfallbilder auf tirol.com
Berufsfeuerwehr: weitere Unfallbilder und Bericht
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Am 3. Februar kam es um ca. 10:45 Uhr zu einem schweren Unfall am Südtiroler Platz: aufgrund einer vermutlich falsch gestellten oder defekten Weiche bog Triebwagen 73 der Linie 3 ins ostseitige Gleis der Linie STB ab. Im selben Moment kam Bus 966 der Linie A auf der Gegenfahrbahn entgegen und die beiden Fahrzeuge kollidierten beinahe frontal.
14 Leicht- und zwei Schwerverletzte, einer davon der Fahrer des am Unfall beteiligten Linienbusses, sind nach den Angaben der Berufsfeuerwehr die traurige Bilanz dieses bereits zweiten Unfalles an der gleichen Stelle seit der Eröffnung des neu gestalteten Südtiroler Platzes im Herbst 2004.
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Der schwer verletzte Busfahrer musste nach der Erstversorgung durch den Notarzt von der Berufsfeuerwehr mittels Bergeschere aus dem Fahrzeug befreit werden.
Während der Aufräumarbeiten blieb der Nahverkehrsterminal gesperrt, zahlreiche Linien des öffentlichen Verkehrs mussten umgeleitet werden. Der schwer beschädigte Triebwagen 73, vor nicht allzu langer Zeit erst hauptuntersucht und frisch renoviert, wurde von der IVB-Revision mittels LKW und Schleppstange in die Remise gebracht.
Am 29. Jänner 2005 kam es an der selben Stelle bereits einmal zu einem ähnlichen Unfall, der allerdings glimpflicher ausging; strassenbahn.tk berichtete. Damals krachte die ebenfalls falsch abgebogene Straßenbahn in eine Reihe stehender Taxis, es gab keine Verletzten.
Warum die Weiche dieses Mal wieder falsch gestellt war, ist noch nicht geklärt. Jedoch ist bei den IVB ein veraltetes System zum Weichenstellen in Verwendung, dessen Funktionsweise solche Unfälle begünstigt. Dennoch hätte dieses System auch auf den künftigen Neubaustrecken zum Einsatz kommen sollen, es wurde auch im Zuge der bereits abgeschlossenen Bauarbeiten in den letzten Jahren in neuen Weichenanlagen wieder verbaut.
Wie strassenbahn.tk allerdings aus verläßlicher Quelle erfahren hat, planen die IVB die schrittweise Umstellung aller Weichenanlagen auf automatische Funksteuerung; es wären auch an den vorhandenen Anlagen bereits sicherheitstechnische Verbesserungen vorgenommen worden. Mit Juli 2008 sollen die dann nicht mehr gesetzeskonformen veralteten Fahrdrahtkontakte endgültig Vergangenheit sein.
Meinung
Manchmal ist es für StraßenbahnfahrerInnen schwierig, zu erkennen, ob eine Weiche in abgelenkter oder gerader Position steht. Beispielsweise kann Lichtblendung dafür sorgen, dass die Anzeige schwer zu erkennen ist; eine beispielsweise mit Eis und Schnee verschmutzte Fahrbahn kann dafür sorgen, dass man auch an der Weiche selbst, trotz Weichenheizung, nur schwer erkennt wie sie gestellt ist.
Das bei den IVB verwendete System zum Weichenstellen ist technisch veraltet. Die Weichenstellung erfolgt nicht automatisch mittels Bordcomputer und über Funk, sondern es ist notwendig, zum Umstellen der Weiche an einer bestimmten Stelle, an der sich am Fahrdraht ein Kontakt befindet, eine Taste zu drücken, während der Stromabnehmer über diesen Kontakt schleift. Der konsumierte Fahrstrom löst dann das Umstellen der Weiche aus. Es liegt dabei natürlich in der Verantwortung der Fahrerin oder des Fahrers, vor dem Befahren der Weiche zu kontrollieren, in welcher Stellung die Weiche sich tatsächlich befindet.
Dieses relativ komplizierte Verfahren ist naturgemäß fehleranfällig, zumal es auch vorkommen kann, dass die Weiche sich rein aufgrund der Tatsache, dass die Straßenbahn während des Überfahrens des Kontaktes beschleunigt, von allein stellen kann, also ohne dass der Fahrer oder die Fahrerin die Stelltaste betätigt.
Experten glauben sogar, dass die zukünftigen Niederflurbahnen aufgrund ihrers höheren Stromverbrauchs mit diesem System unter bestimmten Umständen, zum Beispiel bei aktivierter Klimaanlage, nicht verwendbar sein könnten.
Die Probleme des Systems sind auch den zuständigen Behörden bekannt. Deshalb schreibt das Bundesgesetzblatt "Straßenbahnverordnung 1999" in §17 (11) vor:
"Werden Weichen durch Fahrzeugeinrichtungen gestellt, darf der Stellvorgang nicht von der Stromaufnahme des Fahrzeugantriebes abhängig sein."
Nach §66 (1) der selben Verordnung müssen alle bestehenden Anlagen bis 30. Juni 2008 auf ein den neuen Vorschriften entsprechendes System umgestellt werden.
Heute ist es technisch möglich, Weichen automatisch über den Bordcomputer oder auch manuell und vergleichsweise verfehlungssicher über Funk zu stellen. Bei der automatischen Variante wird durch das rechnergesteuerte Betriebsleitsystem (RBL) eine "Fahrstraße" beim Herannahen des Fahrzeugs vorbereitet. Das RBL kennt die Position und die Linie und kann automatisch die notwendigen Funkimpulse auslösen. Die Gefahr menschlichen Versagens wird dabei minimiert, auch muss nicht betriebsbehindernd wesentlich langsamer gefahren werden.
Die Tatsache, dass die IVB dieses System immer noch verwenden, war bereits nach dem letzten Unfall am Südtiroler Platz Diskussionsgegenstand im Forum von strassenbahn.tk. Der User "Tramtiger" schrieb damals:
"Nicht auszudenken ist, wenn die Straßenbahn nicht in die stehenden Taxis, sonderen frontal in einen nach Norden ausfahrenden vollbesetzten Linienbus geknallt wäre! Also sofort weg mit der Steinzeitlösung der Fahrleitungskontakte! Entweder nur noch Handbetrieb oder Integration ins IBIS-System!"
Der von Tramtiger und anderen DisskutantInnen befürchtete Fall ist nun eingetreten. Die Frage danach, weshalb die IVB angesichts der Tatsache, dass dieses veraltete System in rund zweieinhalb Jahren ohnehin nicht mehr verwendet werden darf, dieses auch bei den neuen Anlagen wieder eingebaut haben, bleibt indes bis auf weiteres wohl unbeantwortet.
(TOL, OO, mps)
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