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"Wir holen uns da jedenfalls frisches Geld für Innsbruck"
Interview mit Bürgermeister Georg Willi zu Tram-Ausbau und Stadtentwicklung
08/23/2019

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Persönliche Anmerkung

Das nachfolgende Interview ist Teil eines umfangreichen, sich über viele Seiten erstreckenden Artikels von Thomas Naumann in der im Oktober erscheinenden Ausgabe 10/2019 der renommierten Fachzeitschrift "stadtverkehr", an dem ich beratend und vermittelnd mitwirken durfte. Es erscheint auf strassenbahn.tk vorab und kann auch als Follow-Up zu diesem strassenbahn.tk-Artikel von Juni 2018 gesehen werden, der einen ersten Ausblick über die möglichen und vorgesehenen weiteren Tram-Ausbaumaßnahmen unter der neuen Stadtregierung gab.
Ich empfehle allen Interessierten ganz dringend den Kauf des "stadtverkehr" 10/2019, es wird sich lohnen!

Manni Schneiderbauer

Interview

„stadtverkehr“: Herr Bürgermeister, über Jahrzehnte galten Tirol und Innsbruck im politischen Sinne als traditionell konservative Bastionen. Das hat sich erstmals gewandelt, als Sie vor gut einem Jahr von der Innsbrucker Bevölkerung zu ihrem ranghöchsten politischen Repräsentanten gewählt wurden. Was hat aus Ihrer Sicht dazu geführt?

Georg Willi: Als Universitätsstadt war Innsbruck schon immer eine weltoffene Stadt, in gesellschaftspolitischen Fragen liberal und für politische Konzepte der Grünen offen. Bei der letzten Gemeinderatswahl sind mehrere Faktoren zusammengetroffen: der Wunsch nach einer Veränderung an der Spitze, die Forderung nach einer anderen politischen Themensetzung und einem neuen politischen Stil. Ich war da offensichtlich die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Platz.

„stadtverkehr“: Sie sind mit einem Wahlprogramm aufgefallen, das in der Zeit des „Wutbürgertums“ dezidiert auf eine ungebrochene Fortsetzung des Straßenbahnbaus gesetzt hat, den Ihre Amtsvorgangerin aussetzen wollte. Waren Sie sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger Ihren forcierten Kurs „pro Straßenbahn“ mehrheitlich unterstützen würden?

Georg Willi: Die Entscheidung „pro Straßenbahn“ war in Zeiten des Klimawandels völlig richtig. Denn sie fährt klimaneutral mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Mir ist es gelungen klar zu machen, dass wir mehr von diesen tollen Geräten brauchen. Denn langfristig überwiegen klar die Vorteile - auch wenn es vorübergehend Baustellen gibt.

„stadtverkehr“: Innsbruck hat es mit einem Schlag geschafft, den Großteil der Bevölkerung erstmals mit einem wirklich attraktiven ÖPNV zu erschließen, und das mit einer Durchmesserachse – idealere Voraussetzungen fur Schienenverkehr sind kaum denkbar. Warum hat es dennoch so lange gedauert, bis endlich gebaut wurde?

Georg Willi: Das frage ich mich auch. Wenn wir den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen wollen, brauchen wir ein viel höheres Umsetzungstempo. Ich hoffe sehr, dass die versprochene „neue Nahverkehrsmilliarde“ für die Ballungszentren Impulse setzen wird. Wir holen uns da jedenfalls frisches Geld für Innsbruck.

„stadtverkehr“: Noch ist die Betriebszeit der Straßenbahnlinien 2 und 5 zu kurz, um über konkrete Erfolge reden zu konnen. Dennoch: Sie selbst stehen dem Ressort „Stadtentwicklung“ vor; welche Effekte versprechen Sie sich vom Straßenbahnbetrieb fur die Stadt Innsbruck und ihre Bevölkerung?

Georg Willi: Ich erwarte mir einen Schienenbonus von mindestens 25 %. Dazu kommt, dass wir durch neue S-Bahn-Halte in der Stadt – der erste wird bei der Messe kommen – die Verknüpfung zwischen den beiden Schienensystemen verbessern. Damit steigern wir aber auch den Nutzen der S-Bahn für die Stadt. Unterstützen wollen wir die Verlagerung auf die Öffis durch eine Verkehrsplanung, die in der Abwägung motorisierter Individualverkehr – Umweltverbund klare Prioritäten zugunsten des Umweltverbundes setzt.

„stadtverkehr“: Dem auswärtigen Besucher fällt auf, dass der öffentliche Raum in der Innenstadt mit Ausnahme der Altstadt und der Maria-Theresien-Straße noch stark vom Autoverkehr beherrscht scheint, darunter auch Achsen mit Durchgangsverkehr und wahrnehmbar zu wenig Raum fur jene, die zu Fuß gehen oder ein Fahrrad nutzen. Gibt es Pläne fur mehr Flächengerechtigkeit bei der Verteilung des knappen Raums?

Georg Willi: Ja, die gibt es. Und an deren Umsetzung arbeitet die grüne Verkehrsstadträtin Uschi Schwarzl – beispielsweise durch neue Radstreifen und ÖPNV-Spuren.

„stadtverkehr“: Ihre Partei hat ein ambitioniertes Programm fur den weiteren Ausbau der Straßenbahn nach Fertigstellung der Linie 5 vorgelegt. Wann könnte die Linie 3 vom Fürstenweg bis zur Universitätssportanlage gebaut werden und gibt es diesbezüglich schon Gespräche über Finanzierungen?

Georg Willi: Die gibt es noch nicht, weil wir zuerst die Linie 5 zwischen Völs und Rum fertig stellen müssen. Aber ja, wir müssen bald mit den Planungen für die Verlängerung der Straßenbahn bis zum Flughafen und die Verknüpfung von Linie 1 und 3 im Süden der Stadt beginnen. Denn diese Planungen müssen Teil der Dekarbonisierungsstrategie sein.

„stadtverkehr“: Abschließend noch eine Frage zur Gesamtschau auf Verkehr und Stadtentwicklung: folgt Innsbruck einem Leitbild, einer Strategie, die Prioritäten verfolgt? Werden die Planungen zur Weiterentwicklung der Stadt am Schienennetz orientiert?

Georg Willi: Am besten sieht man diese Gesamtschau an der Stadtentwicklung im Westen der Stadt zwischen Technischer Fakultät und dem Stadtteil Kranebitten. Das Rückgrat der städtebaulichen Entwicklung ist einerseits ein breit angelegter Grünzug und andererseits die Straßenbahnachse. Unterstützung erfährt die Weiterentwicklung der Stadt auch durch den Gemeinderatsbeschluss vom Juli, mit dem wir den Klimanotstand anerkannt und rasche Maßnahmen außer Streit gestellt haben.

„stadtverkehr“: Herr Bürgermeister, herzlichen Dank für Ihre Antworten!

Georg Willi, 60, ist Mitglied der Tiroler Grünen und seit Mai 2018 Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck. Er gilt als bürgerlicher Realist und einer der Architekten der schwarz-grünen Tiroler Landesregierung.
Die Fragen stellte Thomas Naumann.



Arbeitsübereinkommen 2018 bis 2024 (PDF)

> Tram / Stadtbahn im Forum
> S-Bahn im Forum

(tn,mps)

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